Die beiden könnten die neuen Lehramtsanwärterinnen oder Vertretungslehrerinnen sein. Doch Vika, 25 Jahre alt, und die 22-jährige Mascha sind nur für einen Vormittag nach Recklinghausen gekommen. Anlässlich des Gedenktages an die Opfer des Nationalsozialismus hatte sich das Kuniberg Berufskollegs für die Teilnahme am Projekt „Meet a Jew“ beworben. Junge Menschen besuchen Schulen, um individuelle Einblicke in die Vielfalt jüdischen Lebens in Deutschland zu geben.
Organisiert hat den Besuch der beiden Jüdinnen die Klasse FOS 13 im Religionsunterricht mit Fachlehrerin Christin Segbert. Begrüßt werden die Gäste am Donnerstag (27. Januar) von der stellvertretenden Schulleiterin Anja Kobus sowie von Nico Flizik und Laura Frölich, die die Schülerseite kurz darüber informieren, dass schon seit mehreren Jahren der Gedenktag auf dem Kuniberg in unterschiedlichen Formaten begangen wird.
Vika, die Wirtschaftspsychologie studiert, und die angehende Sozialwissenschaftlerin Mascha stammen wie die meisten der über 100.000 jüdischen Menschen in Deutschland aus dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion. Beide fordern die Schülerinnen und Schüler auf, ohne Hemmungen zu fragen. Die offene Art der beiden kommt an. Nach und nach legen die „Gastgeber“ ihre Scheu ab. „Nein, ich habe noch keine schlimmen Anfeindungen erlebt“, berichtet Mascha. Ihre beste Freundin an der Uni in Düsseldorf ist eine Muslima.
Das Verhältnis zu den anderen Religionen, jüdische Feiertage, Lösungsvorschläge für den Nahost-Konflikt, koscheres Essen: Die Fragen springen, aber die jungen Frauen weichen nicht aus. Auch dann nicht, als es darum geht, ob sie sich das dauerhafte Zusammenleben mit einem Nicht-Juden vorstellen könnten. Vika gibt zu, „dass dies schwierig wäre, weil ich meinen Glauben sehr ernst nehme“. Sie und Mascha haben einige typische Gegenstände mitgebracht, die den Schülern die jüdische Kultur im wahrsten Sinne begreifbar machen.
Es wird viel gelacht in den jeweils 90 Minuten, die das Projekt für die einzelnen Lerngruppen vorsieht. Doch komplett ausgespart bleibt der 27. Januar als Gedenktag nicht. Ob sie schon einmal ein ehemaliges Konzentrationslager besucht hätten, werden die beiden Studentinnen gefragt. Mit einfachen Worten schildert Mascha ihre Eindrücke. Alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer verstehen, was sie mit dem knappen Hinweis meint, sie sei „emotional berührt gewesen“.
Sichtlich erfreut reagieren die Studentinnen, als sie zum Schluss aufgefordert werden zu beschreiben, was sie sich von den Schülerinnen und Schülern wünschen. Erstens Zivilcourage und zweitens Offenheit. Drittens möchten die beiden Referentinnen von „Meet a Jew“ nicht mit dem toten, sondern mit dem lebenden Judentum assoziiert werden. Die Chancen, dass die drei Wünsche in Erfüllung gehen, stehen nicht schlecht.